Warum können manche Menschen Krebs besiegen?
Ein Interview.
Herr Dr. Kappauf, was ist eine Spontanremission?
Darunter versteht man eine spontane Rückbildung von Tumorknoten, ohne dass eine medizinische Behandlung stattgefunden hat. Oder wenn Behandlungsmaßnahmen nach onkologischer Erfahrung eine solche Rückbildung nicht erklären.
Wie viele Spontanremissionen gibt es in Deutschland?
Es gibt hier keine genauen Zahlen. Das Phänomen ist sicher sehr selten. Wahrscheinlich gibt es in Deutschland jährlich weniger als hundert Spontanremissionen. Wir müssen unterscheiden zwischen Spontanremissionen und Spontanheilungen. Eine Spontanheilung liegt erst vor, wenn die Remission auch lange Zeit anhält.
Es gibt also Remissionen, die sich wiederum rückbilden, so dass der Krebs wiederkehrt?
So ist es. Nach Untersuchungen, die mir vorliegen, sind etwa 80 Prozent der Spontanremissionen temporäre Angelegenheiten. Das heißt, früher oder später wächst der Tumor an der gleichen oder an einer anderen Stelle wieder weiter.
Warum nennen Sie Spontanremissionen ein Wunder?
Ich verwende den Begriff Wunder nicht im theologischen Sinne, sondern im Alltagsverständnis. Es geschieht ein Phänomen, das wir eigentlich nicht für möglich halten. Wo wir uns im wahrsten Sinne des Wortes wundern, was hier passiert. Und die Rückbildung großer Tumorknoten, ohne dass entsprchende Therapien angewandt wurden, das entspricht eben nicht unserer Alltagserfahrung.
Ist die wissenschaftliche Erforschung von Wundern nicht ein Widerspruch in sich?
Eigentlich nicht. Der Kirchenvater Augustinus hat gesagt: Wunder sind nicht gegen die Natur, sondern gegen die uns bekannte Natur. Und da fängt eben das wissenschaftliche Interesse Wir machen eine Beobachtung, die wir uns nicht erklären können. Aber das sind genau jene Beobachtungen, von denen wir lernen können. Für mich ist es verwunderlich, dass sich die Wissenschaft bisher so wenig mit diesem Phänomen beschäftigt hat. Dabei bekommen wir bei der Spontanremission genau das vorgeführt, was wir in der Medizin therapeutisch erreichen wollen - nämlich dass sich ein Tumor zurückbildet. Wenn wir also die Mechanismen der Spontanremission verstehen, haben wir berechtigte Hoffnungen, diese Mechanismen auch wissentlich nutzen zu können, um therapeutische Fortschritte bei der Krebserkrankung zu machen.
Gibt es bestimmte Typen von Menschen, bei denendiese Rückbildungen häufig auftauchen?
Nach der herkömmlichen Vorstellung passiert eine Spontanremission nur bei ungewöhnlichen Menschen. Das stimmt nicht. Alle Untersuchungen zeigen, dass es so etwas wie eine Spontanremissions-Persönlichkeit nicht gibt. Wir können aber vier Typen von Patienten mit Spontanremission unterscheiden. Erstens der Kämpfertyp, der den Krebs als Feind sieht, den es zu besiegen gilt. Zweitens die existenzielle Transformation. Das ist die größere Gruppe von Patienten, die durch ihre Krebserkrankung existenziell verunsichert werden und sie als Botschaft betrachten. Die Mensch machen eine innere Wandlung durch und unterscheiden sehr zwischen ihrem Leben vor und nach dem Krebs. Drittens der religiöse Typ, der den existenziellen Wandel vor dem Hintergrund einer starken religiösen Einstellung erlebt und die innere Wandlung als Gnade Gottes betrachtet. Viertens das scheinbar unbeteiligte Verstricktsein. Diese Menschen erleben ihre Erkrankung wie einen Film, der vor ihren Algen abläuft und in dem sie Patient sind, ohne dass sie sich mit dem Krebs so intensiv beschäftigen.
Inwiefern spielt die Spontanremissionen in Ihrem therapeutischen Alltag eine Rolle?
Auf die Therapieplanung hat das Phänomen keinen Einfluss. Aber die Möglichkeit einer Spontanremissionen ist im Arzt-Patienten-Gespräch ein wichtiges Thema. Sie kann dem Patienten, der sich in einer scheinbar hoffnungslosen Situation sieht, Kraft geben.
VON HOLGER FUSS Dr. med. Herbert Kappauf, Jahrgang 1952 praktiziert als Krebsspezialist und Psychotherapeut amMediCenter/Klinikum Starnberg
[Quelle: Technology Review, Ausgabe 1, Januar 2006, S. 114]