Mercurius, Uranus und C. G. Jungs 'Septem Sermones'

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Der “Mercurius” Der Arzt, der die Heilkräfte der Wurzeln und Kräuter kennt, ist ein Mensch; der, der die des Wassers und des Feuers kennt, ein Dämon; wer die Kraft des Gebetes kennt, ein Prophet und wer die Kraft des Quecksilbers kennt, ein Gott.1 Dieser Gott, der in der Alchemie durch das Quecksilber und dessen Transmutationen verkörpert erscheint, ist Hermes/Mercurius. Bedenken wir, welche Potenz im oben zitierten alten Sprichwort diesem Quecksilber zugeschrieben wird: die höchste Heilkraft, die Macht des Gebetes noch übersteigend! In der Astrologie ist die “höhere Potenz” des Merkur der Uranus.

Vertieft man sich näher in die Schriften der Alchemisten, so findet man dem Mercurius dermaßen viele unglaubliche und in sich widersprüchliche Eigenschaften zugeordnet, daß wir hier tatsachlich von einer den astrologischen Merkur weit übersteigenden Kraft ausgehen müssen, in Annäherung der gemeinsamen Energie von Merkur und Uranus. Uranus-Mercurius ist der große Täuscher, Illusionist, Narr und ewige Verwandlungskünstler, flüchtig, kaum greifbar und schon gar nicht begreifbar, was sich in der schwer fassbaren materiellen Natur des Quecksilbers spiegelt. Höchstes Gift und heiligstes heilendes Elixier (von den Alchemisten “Arcanum” benannt) zugleich.

Ein T-Quadrat in C. G. Jungs Radix

Die Sonne bildet in Jungs Horoskop zusammen mit dem Wassermann-AC und einer dissoziierten Neptun-Chiron-Konjunktion im 3.Haus ein spannungsvolles T-Quadrat, bei welchem der Uranus als AC-Herrscher sicherlich ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Der Löwe-Uranus selbst in sehr weiter Konjunktion zur Löwe-Sonne steht ebenfalls in einer teils fördernden, teils herausfordernden Aspektfigur, deren stärkstes Element wohl die fast gradgenaue Quadrat zum Stier-Mond ist, außerdem spielen Pluto, Merkur und Venus mit. In dieser Figur spüren wir die starken energetischen Prozesse, welche durch den Austausch zwischen intellektuellen und idealen Prinzipien (Merkur und Uranus) und weiblich-intuitiven Kräften (Mond/Pluto in Stier, Venus und Merkur in Krebs) entstehen. Der Pluto fordert aber nicht nur geistige Höhenflüge, sondern auch den Abstieg in die Unterwelt, welchen Jung intensiv zu durchleben hatte. Einen Kulminationspunkt dieses Geschehens stellen seine „Sieben Reden an die Toten“ von 1916, wohl nicht zufällig im ersten Weltkrieg verfasst, dar.

C.G.Jung und seine “Septem Sermones ad mortuos”

Der Abraxas ist der schwer erkennbare Gott. Seine macht ist die größte, denn der Mensch sieht sie nicht. ...
Der Abraxas ist Sonne und zugleich der ewig saugende schlund des Leeren, des verkleinerers und zerstücklers, des Teufels. ...
Ja, er ist der große Pan selber und der kleine. Er ist Priapos.
Er ist das monstrum der unterwelt, ein polyp mit tausend armen, beflügeltes schlangengeringel, raserei.
Er ist der Hermaphrodit des untersten anfanges.
Er ist der Herr der kröten und frösche, die im wasser wohnen
und an´s land steigen,
die am mittag und um mitternacht im chore singen.
Er ist das Volle, das sich mit dem Leeren einigt.
Er ist die heilige begattung,
Er ist die liebe und ihr mord,
Er ist der heilige und sein verräter.
Er ist das hellste licht des tages und die tiefste nacht des wahnsinns.
Ihn sehen, heißt Blindheit,
Ihn erkennen heißt Krankheit,
Ihn anbeten heißt Tod,
Ihn fürchten heißt Weisheit,
Ihm nicht widerstehen heißt Erlösung. (2)

Jungs “Septem Sermones ad Mortuos” (Sieben Reden an die Toten), geschrieben 1916 als Teil einer Eigentherapie jener langwierigen und gefährlichen psychotischen Phase, die Jung in dieser Zeit durchlebte, sind voller Paradoxa und alchemistischer Anspielungen, obwohl sich Jung in dieser Zeit noch keineswegs näher mit Alchemie beschäftigt hatte.

Schon Jungs Identifikation in diesem Text mit dem Gnostiker Basilides (2.Jhd. n.Chr.), dessen Schriften manche Alchemisten beeinflussten, weist darauf hin (von Basilides stammt auch die Terminologie des verborgenen Gottes als “Abraxas”); noch deutlicher seine Verwendung alchemistischer Begriffe oder Symbole: Hermaphrodit, Kröten, Frösche, heilige Begattung (= coniunctio). Weiterhin finden wir eine Fülle von mythologischen, religiösen und philosophischen Anspielungen und Ausdrücken.

Die Zeit, in der dieser Text entstand, war offensichtlich eine initiatorische Phase, ein Wendepunkt in Jungs Leben. Nach den großen Erfolgen seiner ersten Lebenshälfte, die sich äußerlich in der Präsidentschaft der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung manifestierte, geriet Jung in eine Jahre andauernde Krise, welche 1913 deutlich anhob. Jung zog sich von den meisten äußerlich angesehenen Posten und Funktionen zurück, womit sein öffentliches Ansehen schwand, er hatte mit Freud gebrochen und seine Ehe geriet durch die beginnende Affäre mit Toni Wolff in Schwierigkeiten. Zudem überschwemmten Jung eine Vielzahl von inneren Bildern und Visionen, die einerseits das kollektive Unheil, das sich zusammenbraute, vorwegnahmen (der erste Weltkrieg), andererseits Jungs eigene Krise illustrierten. Gehäuft Neptun- und Chiron-Auswirkungen mit Bezug zum ersten und 7.Haus! Jung schreibt über diese Zeit:

Ich stand hilflos in einer fremdartigen Welt, und alles erschien mir schwierig und unverständlich. Ich lebte in einer intensiven Spannung, und es kam mir oft vor, als ob riesige Blöcke auf mich herunterstürzten. (3)

Typisch für die paradoxe, ver-rückte und experimentelle Natur des Mercurius/Uranus ist, daß Jungs Eingangstor für diese Phase ein Kinderspiel war, welches er mit Steinen durchführte, nicht etwa ein wissenschaftlich fundiertes Experiment. Jung dachte, gequält von innerer Desorientierheit und massivem Druck: “Ich weiß so gar nichts, dass ich jetzt einfach das tue, was mir einfällt”. (4)

Und es fiel ihm ein, eine Erinnerung aus seiner Kindheit spielerisch umzusetzen, als er mit Bausteinen Häuser und Schlösser gebaut hatte. Als er mit Ufersteinen dieses Kinderspiel nachvollzog, löste dies einen mächtigen Strom von Phantasien aus, die schließlich in den “Septem Sermones” ihren Ausdruck fanden. Jung empfand dieses Spiel wie einen Eintritts-Ritus, der notwendig gewesen war und schreibt darüber:

Dieser Typus des Geschehens hat sich bei mir fortgesetzt. Wann immer ich in meinem späteren Leben steckenblieb, malte ich ein Bild, oder bearbeitete ich Steine, und immer war das ein rite d´entrée für nachfolgende Gedanken und Arbeiten. (5)

Daß dieses Geschehen tatsächlich uranischer Natur war, zeigen Jungs Transite. Die Uranus-Uranus-Opposition, welche die Wandlungsprozesse der Lebensmitte einläutet, stand vor der Tür: Der transitierende Wassermann-Uranus durchlief Jungs erstes Haus, damit eine grundlegende Umstrukturierung der Persönlichkeit fordernd, dies im T-Quadrat mit Jungs Stier-Mond im dritten Haus. Damit einher gingen eben jene tiefen emotionalen und intellektuellen Irritationen, die Jung an den Rande des Wahnsinns brachten. Innere Stimmen, zahlreiche aufwühlende Träume, okkulte Phänomene und Phantasien begannen ihn zu überschwemmen. Aus Jungs Unterbewußtsein tauchten Figuren, innere Führer auf, die Jung sehr wichtig wurden, mit denen er in inneren Dialog trat, sich intensiv mit ihnen auseinandersetzte, die ihn andererseits auch zutiefst irritierten und herausforderten. Schließlich war es ihm, als ob sein ganzes Haus voller Geister sei, welche ihm die Luft zum Atmen nehmen würden. Als er sie fragte, was sie da wollten, riefen sie:
“Wir kommen zurück von Jerusalem, wo wir nicht fanden, was wir suchten.”(ETG S.194)

Er wurde mit dieser Störung fertig, indem er die „Septem Sermones ad mortuos“ schrieb. Es floß aus ihm heraus, und in drei Abenden war die Sache geschrieben.

„Kaum hatte ich die Feder angesetzt, fiel die ganze Geisterschar zusammen. Der Spuk war beendet. Das Zimmer wurde ruhig und die Atmosphäre rein.“ (ETG S.194)

Der ganze Vorgang illustriert deutlich die psychischen Auflösungsprozesse, die wir in der Alchemie gepiegelt sehen. Astrologisch gesprochen sind es die blitzartigen und verwirrend chaotischen Energien des uranischen Prinzips, welches im individuellen Geschehen große Gefahren mit sich bringt, ist das saturnische Prinzip noch nicht bis ins Innerste gefestigt. Dies kann aber in der Lebensmitte ja noch gar nicht stattgefunden haben, nehmen wir einmal einige wenige früh Vollendete aus. In der Alchemie sind es die Prozesse der Solutio: der Auflösung, der Separatio: Trennung der Einzelteile, Sublimatio, welche zur äußersten Verfeinerung führt, schließlich der Mortificatio und Calcinatio: des Todes und der Verbrennung, Zuaschewerdens, welchen in vielfachen Variationen und gegenseitigen Verschränkungen der zersetzende und nicht berechenbare merkurisch-uranische Geist zugrundeliegt. In der Psychotherapie ist es der analytische Weg, welcher in all seinen überraschenden Wendungen Ähnliches bewirkt und auszudrücken scheint. Und in Jungs Wandlungsprozeß der Lebensmitte war es eben jene paradoxe Zwienatur, die allem zugrundeliegt, welche ihm half, neuen Boden unter den Füßen zu bekommen und schließlich seine neuartigen und originären Erkenntnisse zu formulieren, die ihn so bedeutsam machten. Die “Septem Sermones” schließen mit einer Rede über den Menschen, womit Basilides die kläglich bittenden Toten belehrt. Dem Menschen, der zuerst als “klein und nichtig” beschrieben wird, steht ein Stern gegenüber.

In unermeßlicher Entfernung steht ein einzelner stern im zenith.
Dies ist der eine Gott dieses einen, dies ist seine Welt, sein Pleroma, seine göttlichkeit.
In dieser welt ist der mensch der Abraxas, der seine welt gebiert oder verschlingt.
Dieser Stern ist der Gott und das ziel des menschen.

Jung verkündet also eine paradoxe Botschaft: Klein und nichtig ist der Mensch, genauso aber auch unendlich schöpferischer “Abraxas”, welcher Welten gebären sowie zerstören kann.

Dies ist sein einer führender Gott,
in ihm geht der mensch zur ruhe,
zu ihm geht die lange reise der seele nach dem tode,
in ihm erglänzt als licht alles, was der mensch aus der größeren welt zurückzieht.
Zu diesem einen bete der mensch.
Das gebet mehrt das licht des sternes,
es schlägt eine brücke über den tod,
es bereitet das leben der kleineren welt,
und mindert das hoffnungslose wünschen der größeren welt.

Das “Gebet”: eine Brücke über dem unendlich erscheinenden Abgrund Gott-Mensch, vergleichbar der verbindenden Funktion des Mercurius. Und man beachte: dieses Gebet “mehrt das Licht des Sternes”, will sagen: der solchermaßen agierende Mensch ist selbst Teil des sich ewig verändernden Dasein Gottes!

...
Mensch hier, Gott dort.
Schwachheit und Nichtigkeit hier, ewige schöpferkraft dort.
Hier ganz dunkelheit und feuchte kühle,
Dort ganz Sonne.
Darauf schwiegen die toten und stiegen empor wie rauch
über dem feuer des hirten, der des nachts seiner herde wartete. (6)

Das Emporsteigen des Rauches als Symbolik des Aufstiegs ist ein typisches alchemistisches Symbol der gelungenen Sublimatio. Verbindet sie sich mit dem Abstieg (Jung selbst fasste seinen damaligen Prozeß als “Nekyia” auf, als Abstieg und Fahrt ins Totenreich) entsteht schließlich der Prozeß der “Circulatio”, indem sich Auf- und Abwärtsbewegung ergänzen und zum Mandala des göttlichen Kreises schließen. Demnach heißt es im achten Absatz des wichtigsten alchemistischen Textes, der legendären “Tabula smaragdina” des geheimnisumwobenen “Hermes Trismegistos”:

Es steigt von der Erde zum Himmel empor, steigt wieder zur Erde herab
und empfängt die Kraft des Oberen und des Unteren.
So wirst du die Herrlichkeit der ganzen Welt haben.
Daher wird dich alle Dunkelheit fliehen. (7)

Gefahren und Rettendes

Betrachten wir schlußendlich nocheinmal Jungs T-Quadrat auf der Ich-Du-Achse AC-DC und die Figur, in welche Uranus eingebunden ist, dann fällt auf, wie paradox die angezeigten planetarischen Kräfte sowohl als Gefahren, als auch als heilende Kräfte ersichtlich werden:

Aszendent in Wassermann

Gefährdung des Ich –
Durchbruch zu einer neuen Persönlichkeitsstufe, welche die zukunftsweisenden und hochgeistigen Potenzen des Uranus eindeutiger integriert hat und damit seine Berufung zu verwirklichen vermag

Neptun in 3: Zuständige geistiger Verwirrung, Ohnmachtserfahrungen -
Einbeziehung von mystischem Wissen (Alchemie) in den Bereich der Psychotherapie

Löwe-Sonne und Uranus in 7-Quadrat Neptun/Chiron: Destabilisierung der Persona und von Jungs öffentlicher Rolle -
Entfaltung von wesentlich größerer Ausstrahlung von Jungs Person und innerster Berufung durch Begegnung mit myseriösen inneren Figuren, welche Jung als Lehrer und Mentoren erscheinen (Chiron).

Merkur in Krebs: Geistige und emotionale Verwirrung – Das Kinderspiel als Schlüssel zur Wandlung. Schreiben eines heilsamen Textes, welcher sich mit den Toten (Aspekt zu Pluto) beschäftigt

Merkur/Venus in Krebs im 6.Haus: „Geister“ belagern und verunreinigen die häusliche Atmosphäre – Reinigung der Atmosphäre durch den quasi rituellen Akt des Schreibens.

So wird hier inbezug auf schwierige Aspektkonstellationen Hölderlins wunderbarer Satz aufs Schönste bestätigt: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“

Anmerkungen und Abkürzungen

ETG = C.G.Jung, Erinnerungen, Träume, Gedanken (Jungs Autobiographie)
Die ungewöhnliche Groß-, Kleinschreibung in „Septem Sermones“ entspricht Jung

1) Sprichwort, zitiert nach K.Pollak, Wissen und Weisheit der alten Ärzte. Econ, Düsseldorf/Wien 1968
2) C.G.Jung, “Septem Sermones”, Sermo III, in: “Erinnerungen, Träume, Gedanken” (ETG), Walter-Verlag Olten, 1971, S.393
3) ebda., S. 180
4) ebda. S. 177
5) ebda. S.178
6) ebda. S. 398
7) zit. nach E.Edinger, “Der Weg der Seele”. Kösel, München 1990, S. 286

Autor: Martin Trosbach, initiatischer Therapeut, Lehrer und Astrologe, Leitung des „Zentrums für kreative Seelenarbeit Zell“ (gemeinsam mit seiner Frau Susanne)


Letzte Änderung: 08.10.2018

Trosbach Heilpraktiker, initiatischer Therapeut, Astrologe, Musiker, Körperpsychotherapeuten Zell

Heilpraktiker, initiatischer Therapeut, Astrologe, Musiker, Körperpsychotherapeuten Martin, Susanne Trosbach
93199 Zell

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